Soll die demente Mutter ins Heim?

Soll die demente Mutter ins Heim?

 

Was tun, wenn ein Elternteil an Demenz leidet und nicht mehr alleine leben kann? Keine Frage: wenn die Eltern alt werden, krank, gebrechlich oder dement, dann ist das sowohl für die Betroffenen, als auch für die Angehörigen eine sehr schwierige und belastende Situation. Viele Familienmitglieder überlasten sich und werden später selbst krank, nachdem sie oft jahrelang, bis zur Aufopferung,  gepflegt haben.

 

Wir haben die Demenz bei meiner Mutter zuerst gar nicht erkannt. Sie hat es sehr gut versteckt und überspielt. Im Nachhinein kann man sehen, dass sie bereits jahrelang ein ausgeklügeltes Verstecken betrieben hat und wir es mangels Erfahrung nicht durchschaut haben. Aber das ist auch mehr als verständlich, denn es ist mit viel Scham und Schmerz verbunden, wenn der Betroffene merkt, dass die kognitiven Fähigkeiten einen immer mehr im Stich lassen. Das ist anfangs für die Demenzkranken ja noch deutlich erkennbar.

 

Aber ich möchte jetzt auch gar nicht so viel zur Demenz an und für sich schreiben, da gibt es sicher genügend  Literatur dazu. Mir geht es ganz bewusst darum, von dem Prozess zu erzählen, von den Tiefen, die wir durchschritten haben und wie die Entscheidung am Ende ausgefallen ist: soll die Mutter ins Heim oder nicht?

 

Dass unsere Mutter an Demenz leidet haben wir ungefähr ein Jahr bevor ihr Ehemann in Rente ging, festgestellt. Bis zu seinem Ruhestand, der dann gar nicht so ruhig verlief, kam sie tagsüber noch ganz gut alleine zurecht. Dann war ihr Mann mehr zuhause und im Laufe der nächsten 3 Jahre nahmen ihre kognitiven Fähigkeiten weiter ab. Bald könnte sie außer Wäsche aufhängen und abnehmen (zeitlebens ihre Lieblingsbeschäftigung) nichts mehr wirklich Sinnvolles tun. Das tägliche Leben mit ihr war für ihren Mann mit vielen großen und kleinen Herausforderungen gepflastert. Im Sommer des dritten Ruhestandsjahres bekam er dann eine Krebsdiagnose. Nur zwei Jahre zuvor, war seine Schwester an Krebs verstorben und in dem besagten Sommer, kurz nach der Diagnose, verstarb sein Vater.

 

Bislang hatte ihr Ehemann fast komplett die Pflege meiner Mutter übernommen. Nur einmal die Woche kam ein Pflegedienst zum Duschen. Nun stand plötzlich im Raum, dass er wochenlang ausfallen wird, um sich operieren zu lassen und um danach noch für 4 Wochen in eine alternative Krebsklinik zur Behandlung zu gehen. Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter ihr Leben lang, sehr auf ihre Partner ausgerichtet/fixiert war. Das war natürlich durch ihre Krankheit jetzt noch sehr verstärkt. Ihr Mann war der Fels in der Brandung und ihre ganze Sicherheit in einer Welt, in der sie sich schon lange nicht mehr zurechtfand!

 

Es gab ein auf und ab der Gefühle, als ihr Mann zusammen mit uns Kindern seine Abwesenheit plante. Mein Bruder war der Meinung, es wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um unsere Mutter ins Heim zu geben, da sie die Chance hätte, sich noch einzugewöhnen. Ihr Mann war wirklich überfordert und am Ende, konnte sich jedoch noch nicht ganz dazu durchringen. Ich war auch unentschlossen und so haben wir uns die Option eine sogenannten “24 Stunden Pflege” ins Haus zu holen, angeschaut. In einem langen Beratungsgespräch erfuhren wir von den Bedingungen: nicht nur war es mit ca 2600€/Monat sehr teuer, auch die Bezeichnung “24h Betreuung” ist irreführend! Tatsächlich sind es 5 Stunden pro Tag, in denen diese Betreuerin, bzw Haushaltshilfe, arbeitet. Was Arbeit ist und was nicht, war schwammig und nicht ganz klar. Die Zeit drängte sehr und wir mussten uns schnell entscheiden.

 

Wir entschieden uns also für die 24h Betreuung, da wir unserer Mutter die gewohnte Umgebung ermöglichen wollten und dass sie auch weiterhin mit ihrem heissgeliebten Hund zusammen sein kann. Es bleib eine Woche Zeit in der ihr Mann noch zuhause war und die junge Haushaltshilfe aus Rumänien eingelernt werden sollte. Wir hätten nie damit gerechnet, dass diese Lösung so komplett in die Hose gehen würde! Unsere Mutter hat die Haushaltshilfe vom allerersten Moment abgelehnt und war ihr gegenüber total feindselig. Das ging so weit, dass die junge Frau Angst bekam, meine Mutter könnte sie mit dem Messer verletzen. Ich muss dazu sagen, meine Mutter ist wahrlich keine aggressive Person. Sie war jedoch sehr eifersüchtig und tat alles, um ihr Revier (“das ist mein Haus!”) zu verteidigen. Als ihr Mann dann im Krankenhaus war, und sie mit ihr alleine war, hat sie die Haushaltshilfe tatsächlich am Nachmittag aus dem Haus gejagt. Um die Situation zu lösen, mussten wir die Mutter über Nacht zu uns nehmen. Der Vermittlungsdienst hat sehr schnell reagiert und einen Austausch bewirkt. Jetzt kam eine 25jährige Polin zu uns. Da stimmte die Chemie und meine Mutter akzeptierte sie sehr gut am Anfang. Aber ihr Revierverhalten legte sie auch da nicht ab und frage jeden Tag, wann die Hilfe denn endlich wieder abreisen würde. Zum Beispiel erlaubte sie der jungen Polin oft nicht, einzuheizen, zu kochen und auf keinen Fall ihr Schlafzimmer zu betreten. Wir Angehörigen waren ständig auf dem Sprung. Es war sowohl für unsere Mutter, als auch für uns, sehr stressig.

 

Ich habe mehrfach Positives gehört und dass es oft sehr gut klappt mit so einer 24h Kraft. Bei uns war das leider nicht der Fall. Als sich dann beim Ehemann meiner Mutter noch schwere Komplikationen eingestellt haben und wir nicht wussten, ob/wie er überlebt, haben wir uns entschieden, ein Heim für sie zu suchen. Muss ich dazu sagen, dass es ein schwerer Schritt war? Eine Achterbahn der Gefühle? Die Herausforderung war, dass wir wieder im Zeitdruck waren, denn die polnische Hilfe, mit der es zumindest solala klappte, musste wegen familiären Angelegenheiten bald wieder abreisen. Da es freie Heimplätze leider nicht wie Sand am Meer gibt, waren wir schon mal froh, dass nach Anrufen in 15 Heimen in zweien ein Platz frei war. Wir konnten uns beide anschauen und wie es mit freien Heimplätzen auch so ist: man muss sich sofort entscheiden, denn das Heim möchte und kann natürlich den Platz schnellstmöglich wieder besetzen.

 

Positiv war, dass wir in beiden Heimen ein gutes Gefühl hatten. Eines lag weiter entfernt und hatte ein Einzelzimmer frei. Das andere war für uns sehr günstig gelegen und hatte aber nur einen Platz im Doppelzimmer frei. Die Entscheidung fiel uns schwer. Was war nun das Richtige? Würde unsere Mutter im Doppelzimmer zurecht kommen, bzw ihre Zimmernachbarin mit ihr? Nach den Erfahrungen mit den Haushaltshilfen waren wir verunsichert. Ich glaube am Ende war es gut, dass wir uns schnell entscheiden mussten, denn man kann sich eh nie sicher sein, was denn nun richtig oder falsch ist und würde möglicherweise so eine Entscheidung endlos in die Länge ziehen.

 

Wir haben uns für das Heim in der für uns guten Lage entschieden. Vieles dort war sehr positiv und die Heimleitung meinte, wir sollten wegen dem Doppelzimmer erst mal abwarten, es könne sich aus ihrer Erfahrung auch sehr positiv entwickeln. Und sollte es wirklich nicht funktionieren würden wir in absehbarer Zeit auch ein Einzelzimmer bekommen. Wir hatten jetzt noch ein paar Tage über das Wochenende Zeit bis der Einzug stattfinden sollte. An dem Tag, als wir sie angemeldet haben, sagte sie zuhause zu mir (sie wußte nichts davon), dass sie jetzt vielleicht doch bald mal ins Heim muss…

 

Dieses Wochenende war grausam für uns. Wir hatten uns bewusst entschieden, ihr nichts vorher zu sagen, denn sie konnte solche Dinge mittlerweile gar nicht mehr einordnen. Am Montag morgen, als die polnische Haushaltshilfe abgereist war, sagte sie, sie wolle nicht alleine im Haus bleiben. Daraufhin sagten wir ihr, sie könne sich jetzt mit uns ein Heim anschauen. Erst war sie sehr aufgebracht und meinte, wir hätten hinter ihrem Rücken alles geplant und ihr nichts gesagt. Was ja auch stimmt. Dann willigte sie ein, es sich einfach nur anzuschauen. Die Fahrt ging los.

 

Im Heim angekommen stellte sie sich erst mal total quer. NICHTS passte ihr und sie war sich ganz sicher “hier wolle sie keinesfalls bleiben”. Tatsächlich haben wir zu dritt 5 Stunden lang ruhig auf sie eingeredet bis das Personal sagte: “Jetzt gibt es Abendessen und es ist der richtige Zeitpunkt, dass die Angehörigen jetzt nach Hause gehen”. Wir gingen. Würde sie versuchen wegzulaufen? Das Heimpersonal kann niemanden zum Bleiben zwingen, da bräuchte man schon einen richterlichen Beschluss wegen Eigen- oder Fremdgefährdung.

 

Am nächsten Tag besuchte ich sie am frühen Nachmittag. Was würde mich erwarten?! Mit sehr gemischten Gefühlen betrat ich das Altenheim und fuhr mit dem Aufzug in den ersten Stock. In der Küche am Stockwerk saß meine Mutter mit zwei anderen Bewohnern und freute sich riesig, als sie mich sah. Sie war gut gelaunt und wir gingen auf ihr Zimmer. Dort traf ich zum ersten Mal ihre Zimmernachbarin, eine geistig fitte 85 jährige Frau, die allerdings körperlich nicht mehr so rüstig ist. Ich hatte Süßigkeiten dabei und wir plauderten 2 Stunden, bis ich ihr eröffnete, dass ich jetzt nach Hause gehen werde. Dann war sie kurz verwirrt und meinte, sie müsse dann ja auch mitgehen. Ich versicherte ihr, dass sie hier bestens aufgehoben war und verschwand im Aufzug.

 

Die nächsten vier Wochen besuchten wir sie abwechselnd täglich. Da war ich sehr froh, dass ich mir die Besuche und alles Organisatorische mit meinem Bruder und seiner Frau teilen konnte. Unsere Mutter hat nie versucht, wegzulaufen. Sie ist allerdings ein sehr vorsichtiger und ängstlicher Typ und hat auch zuhause nie Anstalten gemacht wegzugehen. Für manche Menschen mit Demenz ist die Weglauf- oder Hinlauftendenz dann schon ein Problem, wenn sie sich im Heim nicht wohlfühlen und wegwollen.

 

Für uns sehr überraschend hat sich unsere Mutter sehr schnell und vor allem sehr gut im Altenheim eingelebt. Bereits am zweiten oder dritten Tag sprach sie davon, wie schön es hier sei, wie gut die Energie wäre und wie nett die Leute sind. Ja man kann sagen, sie ist regelrecht noch einmal aufgeblüht. Während sie sich die letzten Jahre immer mehr zurückgenommen hat und auch in Geprächen, ganz entgegen ihrer aufgeweckten kommunikativen Natur, immer stiller wurde, geht sie jetzt wieder mehr aus sich heraus. Sie fühlt sich sehr wohl und ist so entspannt, wie schon lange nicht mehr. Die letzten Jahre war sie sehr ängstlich und unruhig gewesen. Es gibt dort auf ihrem Stock einen Wintergarten, wo man einen sehr weiten Rundumblick hat. Das gefällt ihr unglaublich gut und dort sitzt sie sehr oft, sowohl alleine als auch mit uns wenn wir zu Besuch kommen.

 

Ich bin sehr froh, dass wir die 24h Stunden Kraft ausprobiert haben. Das hätte sonst vielleicht an uns genagt, der Gedanke, dass es auch eine gute Lösung gewesen wäre. Aber in unserem Fall ist das Altenheim wirklich die ideale Lösung. Die Demenz ist zwar sehr fortgeschritten, aber eben noch nicht so weit, dass sie nichts mehr mitbekommt, sondern die Vorteile eines Heimes genießen kann. Für meine Mutter positiv ist:

  • Sie ist nie alleine, immer ist jemand in der Nähe, sowohl Mitbewohner als auch Pflegepersonal. Die Angst vor dem Alleinesein hatte sie ihr Leben lang.
  • Der Alltag ist sehr klar strukturiert mit festen Zeiten für Essen und Aktivitäten. Das ist gerade für Menschen mit Alzheimer sehr wichtig und tut ihr unglaublich gut.
  • Sie muss sich um nichts kümmern. Im ihrem Haus fühlte sie sich sehr verantwortlich für alles, konnte dieser Verantwortung aber in keiner Weise mehr gerecht werden, was sie selbst sehr stresste.
  • Ihr Besitz ist auf das Nötigste geschrumpft und damit gibt es wenig, was sie verwirren könnte, bzw muss sie sich dann auch um nichts kümmern.
  • Sie liebt die Gespräche mit anderen Heimbewohnern, die nun viel mehr auf ihrer Augenhöhe stattfinden. Zuvor war sie nur von gesunden, geistig fitten Menschen umgeben und fühlte sich dadurch immer unterlegen und wurde eben, wie gesagt, immer stiller.
  • Das angebotene Programm im Heim gefällt ihr sehr gut.
  • Sie genießt es, dass sie Hilfe bekommt und umsorgt wird.
  • Wir sind auch viel entspannter, weil alles gut läuft und können uns bei den Besuchen ganz auf sie einstellen. Zuhause als die 24h Kraft da war, gab es immer viel zu tun.
  • Ihr gefällt der Wintergarten und die Aussicht dort unglaublich gut.

 

Jeder Fall ist anders und was bei uns gut klappt, kann in anderen Fällen wieder ganz anders sein! Mir war es nur ein Anliegen zu schildern, dass das Heim auch eine sehr gute Lösung sein kann. Die Vorgängerin unserer Mutter, also die Frau, die vor unserer Mutter für 3 Monate das Zimmer mit der 85jährigen geteilt hat, hatte auch Demenz in einem weniger fortgeschrittenem Stadium. Sie war zur Kurzzeitpflege für 3 Monate dort gewesen und dann wieder nach Hause geholt worden. Sie wollte allerdings gar nicht mehr heim! Und eine Bekannte erzählte uns auch, dass ihre Angehörige, die an Alzheimer errankt war, im Heim so aufgeblüht ist, wie es bei unserer Mutter der Fall ist.

 

Apropos Hund: ich habe ja oben erwähnt, dass der kleine Hund das Ein und Alles unserer Mutter war. Zu unserem völligen Erstaunen, hat sie den Hund sofort komplett vergessen und nie nach ihm gefragt. Ich hätte das nie für möglich gehalten.

 

Es ist und bleibt eine sehr schwierige, emotionale Entscheidung, die einem niemand abnehmen kann und wo es keine Patentlösung gibt. Da muss jeder für sich und den Betroffenen die beste Lösung finden. Eine Möglichkeit wäre jedoch, dass man einmal eine Kurzzeitpflege für 3 Wochen ausprobiert. Ab Pflegegrad 2 bezahlt die Krankenkasse da einen Großteil der Kosten. So können alle Beteiligten für eine klar definierte Zeit einmal die Erfahrung machen, wie das so funktioniert und ob es auch für die Zukunft stimmig sein könnte. Vielleicht sind die Ergebnisse ja ganz anders als erwartet?! Wir wurden im Laufe dieses Prozesses immer wieder überrascht, soviel steht fest!



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